November 2020. Die Clubs sind schon seit Monaten wegen Corona geschlossen und ich warte trotzdem vor dem Berghain auf Einlass.

Morgen ist die Frage

Der Technoclub beheimatete zu dieser Zeit eine Ausstellung der Boros Collection mit Werken von Berliner Künstlern. Einlass wie immer nur mit Maske, streng reguliert und in geführten Gruppen.

Als wir in die Panoramabar kommen hängt dort ein Bild mit 24 Glasampullen, gefüllt mit verschiedenen chemischen Elementen auf weißem Grund. Als Naturwissenschaftler ist meine Neugier gleich geweckt. Der Inhalt kommt mir doch ziemlich bekannt vor. Der Titel des Bildes: Selbstporträt

Sofort katapultierte sich das Bild in meine Top 5 Liste der Lieblingsbilder. Wie kann man nur so reduziert ein Abbild von sich selbst darstellen? Bis auf fast molekulare Ebene im Detail und so abstrakt wie irgend möglich. Absolut umwerfend 😍
Leider ging es dann mit der Führung zu schnell zum nächsten Kunstwerk, die aber auch ziemlich gut waren…

Das Bild blieb mir noch lange im Kopf und ich habe seitdem immer wieder nach weiteren Kunstwerken von Alicja Kwade Ausschau gehalten.

Aktuell gibt nun es in der Berlinischen Galerie noch bis 04. April 2022 eine kleine Sonderausstellung: In Abwesenheit. Dabei ist sie mit ihrem Pulsschlag, der angeblich live übertragen wird, akustisch die ganze Zeit präsent.

Die Arbeit von Alicja Kwade ist inspiriert von philosophischen, naturwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragestellungen. In ihren Skulpturen verhandelt sie Modelle und Konstruktionen zur Wahrnehmung von Realität, um die Möglichkeiten subjektiver und objektiver Erkenntnis zu hinterfragen.

Neben mehreren Selbstporträts finden sich ein paar große Bronzestehlen verteilt im Raum. Die erste Assotiation ist natürlich die der DNA Doppelhelix, die auch bei näherer Betrachtung korrekt ist. Geht man noch etwas weiter heran sieht man plötzlich kleine Öffnungen und Schlitze - Unterseiten von iPhones.

Im Raum stehen weitere Boxen aus Kupfer, die gefüllt sind mit sehr viel bedrucktem Papier. ATCG. An den Wänden geht es weiter, was aber erst auf den dritten Blick ersichtlich wird. Auch hier ist alles voll mit den gleichen Seiten. Das soll das komplett sequenzierte Genom der Künstlerin sein.
Für dieses Kunstwerk brauchte ich einige Zeit um es zu erfassen. Erst aus etwas Entfernung, mit wiederholtem Hinsehen und aus anderen Blickwinkeln wird mir wieder einmal bewusst, wieviele Informationen doch in jeder einzelnen Zelle gespeichert sind und was aus diesen paar Buchstaben entstehen kann. Unglaublich.

Die Ausstellung in einem Raum ist insgesamt sehr überschaubar. Gerne hätte ich mir mehr gewünscht. Es gibt aber dennoch einen guten Eindruck dieser unheimlich tollen Künstlerin.

Seit November 2020 hatte ich immer wieder Ausschau gehalten, wo und ob man ein Selbstporträt kaufen kann. Auch wenn meine Wohnung bereits keinen Platz für noch ein Bild hat - dafür würde umgeräumt. Allerdings habe ich immer davor zurückgeschreckt intensiver zu suchen. Wenn man sich die Preise andere Werke wie der Time Machine von 2016 oder Nachts von 2020 so ansieht, schein dieses leider mein Budget bei weitem zu sprengen.

Dann besser doch selber gestallten…

Pandemic Sunday